Aktuelle Rechtsprechung kurz erklärt

Bei der operativen Therapie bei Lipödem handelt es sich um eine sogenannten Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB). Diese Methoden stellen keine offizielle Kassenleistung dar und müssen regelmäßig bei der jeweiligen Krankenkasse vom Patienten beantragt werden.

Die derzeitige Situation der Lipödempatientinnen gestaltet sich trotz der in 2019 erzielten Fortschritte (Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 19.09.2019, Kostenübernahme der operativen Therapie des Lipödems für das Stadium III unter bestimmten Voraussetzungen) in rechtlicher Hinsicht für die Stadien I und II immer noch als schwierig.

Soweit nach der Behandlungsform unterschieden wird (ambulant oder stationär), existieren unterschiedliche Ansatzpunkte in Rechtsprechung und Gesetzgebung.

Eine Kostenübernahme ambulanter Behandlungsformen für die 1er- und 2er-Stadien ist derzeit nur im Rahmen der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a SGB V denkbar. Zwar kann hier ein Systemversagen aufgrund des nicht eingehaltenen Zeitrahmens des Entscheidungsverfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss angenommen werden, dies ist jedoch höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.

Was ist unter einer Genehmigungsfiktion zu verstehen?

Wird ein Leistungsantrag an die Krankenkasse gestellt, muss diese innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang (bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes innerhalb von fünf Wochen) über den Antrag entscheiden. Versäumt sie diese Frist oder verlängert diese nicht rechtzeitig, dann gilt die beantragte Leistung als genehmigt. So die Vorschrift des § 13 Abs. 3 a SGB V.

Von diesem Grundsatz haben sich mit Urteil des 1. Senates des Bundessozialgerichtes vom 26.05.2020 (Aktenzeichen B 1 KR 9/18 R) entscheidende Änderungen ergeben. Eine entscheidende Änderung besteht darin, dass die bisher auch für Kostenübernahmen geltende Genehmigungsfiktion nur noch für die Kostenerstattung gilt. Bisher war es möglich, dass Patientinnen bei Eintritt einer Fiktion eine Vorfinanzierung der Operationskosten vermeiden konnten. Dies ist nunmehr nicht mehr möglich, da der Anspruch nur über eine Kostenerstattung verwirklicht werden kann. Auch der 3. Senat des Bundessozialgerichtes hat mit drei weiteren Urteilen (Aktenzeichen B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R) dies bestätigt. Es gibt hier wegen der Neuheit dieser Urteile noch keine gesicherten Erkenntnisse, wie diese von anwaltlicher Seite strategisch angegangen werden können.

Bereits im Jahr 2018 wurde vom 1. Senat des Bundessozialgerichtes entschieden, dass die Liposuktion bei Lipödem unter stationären Bedingungen nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot der §§ 2, 12 SGB V entsprechen würde (BSG-Urteile vom 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R, B 1 KR 13/16).

Insofern könnten diese Maßnahmen nicht von der gesetzlichen Krankenkasse getragen werden, bis die vom Gemeinsamen Bundesauschuss geplante Studie zu Ergebnissen gekommen sei. Die Studie soll Mitte 2021 beginnen und voraussichtlich vier Jahre dauern.

Zu Beginn des Jahres 2020 trat eine Neuregelung der §§ 39, 137 c Abs. 3 SGB V im Rahmen des EIRD (= Implantateregistererrichtungsgesetz) in Kraft.

Das Bundessozialgericht hatte im April 2018 (siehe oben) entschieden, dass bei gesetzlich Krankenversicherten kein Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung mit Methoden, die nur das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten, bestünde.

Nach Absicht des Gesetzgebers soll die Neuregelung im Rahmen des EIRD die Auswirkungen dieser Rechtsprechung unterbinden. Demnach besteht auch bei Potentialmethoden ein Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung.

 

Systematik der GKV

Die Gesetzliche Krankenkasse funktioniert nach dem Solidarprinzip (Krankenversicherung als Solidargemeinschaft).  Dies ist auch in § 1 SGB V so niedergelegt. Allerdings sind die Versicherten nicht völlig aus ihrer Eigenverantwortung entlassen, sie sind – so die Vorschrift – für die Erhaltung ihrer Gesundheit mitverantwortlich.

Demnach müssen Leistungen zwar einem gewissen Qualitätsstandard entsprechen, allerdings müssen die Leistungen auch wirtschaftlich sein (§§ 2, 12 SGB V). Die Kosten der Leistung müssen sich also in einem vertretbaren Rahmen bewegen.

Da die GKV nach dem Solidarprinzip funktioniert, finanziert sie sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder (Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sonstige Versicherte), aus Bundeszuschüssen und aus sonstigen Einnahmen. Die Bundeszuschüsse sind immer bezogen auf sog. versicherungsfremde Leistungen der GKV (z. B. beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehegatten) und werden aus Steuermitteln finanziert.

Die vereinnahmten Mittel fließen in den sogenannten Gesundheitsfonds. Dieser Fonds wird jedes Jahr nach Risikostruktur aufgeteilt, sodass Alter, Geschlecht und Erkrankungen der Versicherten bei den verschiedenen Krankenkassen berücksichtigt werden können. Krankenkasse mit einem höheren Anteil an älteren und kranken Versicherten erhalten eine höhere Zuweisung. Bei einem höheren Bedarf an Mitteln wird von den Versicherten der Zusatzbeitrag erhoben.

Die meisten Mitglieder sind pflichtversichert und müssen nur aus ihrem Arbeitseinkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit Kassenbeiträge abführen. Bei freiwillig versicherten Mitgliedern (Überschreiten der sogenannten Beitragsbemessungsgrenzen, Selbständige usw.) müssen auch aus anderen Einnahmen (Kapitaleinkünfte, Vermietungseinkünfte u. a.) Kassenbeiträge abgeführt werden.

Was von den Kassen bezahlt wird, bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss. Dieser erlässt Richtlinien zur Umsetzung der Vorgaben. Der Gemeinsame Bundesausschuss setzt sich aus unparteiischen Mitgliedern, Vertretern der Leistungserbringer und der Krankenkassen sowie aus Mitgliedern der Patientenvertretungen zusammen. Die Patientenvertretungen haben jedoch nur ein Mitberatungsrecht, kein Stimmrecht.

Nach den Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen zwischen Leistungserbringer (Arzt, Sanitätshaus, Physiotherapeut u. a.) keine direkten sozialrechtlichen Beziehungen. Dies ist zu unterscheiden z. B. vom konkreten (zivilrechtlichen) Behandlungsvertrag.

Die gesetzlich Versicherten haben das Recht der freien Arztwahl, jedoch stets beschränkt auf Vertragsärzte und Vertragskrankenhäuser. Die Inanspruchnahme von Privatleistungen (IGEL-Leistungen) ist möglich, jedoch grundsätzlich nicht bei der GKV erstattungsfähig. Der Abschluss einer privaten Zusatzversicherung ist außerdem möglich, um das Leistungsangebot zu erweitern.

Bei längeren Erkrankungen als sechs Wochen gewährt die GKV Krankengeld.

Die Vertragsärzte sind in den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen der verschiedenen Bundesländer organisiert und schließen Verträge mit den Krankenversicherungen über die zu erbringenden Leistungen. Auch bei den zugelassenen Krankenhäusern funktioniert dies ähnlich.

Privatärzte und Privatkliniken stehen außerhalb dieses Systems und werden daher von der GKV grundsätzlich nicht finanziert.  Ausnahmen bilden in bestimmten Konstellationen die Genehmigungsfiktion im Sinne des § 13 Abs. 3 a SGB V und der Fall der rechtswidrigen Ablehnung einer medizinisch indizierten Maßnahme gemäß § 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. SGB V.

 

Private Krankenkasse (PKV)

Zwischen der Privatpatientin und der jeweiligen (privaten) Krankenkasse besteht ein Krankenversicherungsvertrag in Form einer Krankheitskostenvollversicherung, je nach Tarif mit einem bestimmten Umfang (z. B. mit/ohne Chefarzttarif, Umfang der Heil- und Hilfsmittel). Bevor ein Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen wird, erfolgt eine sogenannte Gesundheitsprüfung, bei der alle bekannten Vorerkrankungen vollständig und umfassend anzugeben sind. Bei Fehlern oder Nachlässigkeit kann dies im Ernstfall zu einem Vertragsausschluss oder auch zu einem Rücktritt des Krankenversicherers vom Versicherungsvertrag führen (Folge: problematischer Versichertenstatus, keine Kostenerstattung von Behandlungskosten).

Um so jünger, um so kostengünstiger der Tarif, da der Gesundheitszustand besser ist. Da langfristig der eigene Gesundheitszustand nur schwer zu überblicken ist, will die Wahl der PKV gut durchdacht sein.

Im Hinblick auf das Alter ist Wert auf die Bildung einer möglichst guten Altersrückstellung zu legen (wird von den Versicherungsgesellschaften unterschiedlich gehandhabt).

Es ist zwar generell möglich, wieder zu einer anderen Versicherungsgesellschaft zu wechseln, allerding muss hier berücksichtigt werden, dass eine erneute Gesundheitsprüfung ansteht. Insofern ist hier eher an einen Tarifwechsel als an einen Wechsel der Versicherungsgesellschaft zu denken, da der Gesundheitszustand mit zunehmendem Lebensalter nicht unbedingt besser wird. Vor einem Tarifwechsel ist eine Beratung durch einen unabhängigen Versicherungsberater empfehlenswert.

Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die PKV nach dem Erstattungsprinzip funktioniert. Dies bedeutet: Die Privatpatientin erhält im Normalfall zunächst immer selbst die Rechnung des Leistungserbringers, muss diese auf deren Richtigkeit prüfen, bevor die Rechnung beim Versicherungsunternehmen zur Erstattung eingereicht wird. Bei kostenintensiveren Maßnahmen kann vorab um Auskunft bezüglich der Kostenübernahme bei der Versicherungsgesellschaft ersucht werden, sodass diese in Ausnahmefällen für die Kosten direkt eintritt. Rechnungen von Ärzten als Leistungserbringer müssen nach den geltenden Regeln der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ordnungsgemäß ausgestellt sein.

Die Privatpatientin kann sämtliche Ärzte und Kliniken frei aufsuchen, muss jedoch hier darauf achten, dass die in Anspruch genommenen Leistungen auch erstattungsfähig sind. Der Mitgliedskreis der privat versicherten Patienten setzt sich weitgehend aus Angestellten, welche die sozialversicherungsrechtliche Beitragsbemessungsgrenze überschreiten, aus selbständig Tätigen sowie aus verbeamteten Personen zusammen. Bei Beamtinnen und Beamten besteht üblicherweise eine Krankheitsvollkostenversicherung nur zu 50 %, die anderen 50 % werden von der Beihilfe (= Beihilfestellen auf Bundes- und Landesebene) getragen. Auch eine Aufteilung 70 % – 30 % ist hier durchaus üblich.

Für längerdauernde Erkrankungen wird eine Krankentagegeldversicherung abgeschlossen.

 

Finanzamt

Geltendmachung beim Finanzamt
Operationskosten können steuerlich als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG geltend gemacht werden. Insofern ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Finanzbehörden die Liposuktion als eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode ansehen. Wird die Liposuktion nicht als eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode anerkannt, sind die hierdurch entstandenen Kosten gleichwohl steuerlich zu berücksichtigen, wenn vor Durchführung der Operation das Gutachten eines Amtsarztes eingeholt wurde, welches die medizinische Notwendigkeit der Operation bestätigt.

Es empfiehlt sich aus diesem Grunde immer, vor Durchführung der Operation das Gutachten eines Amtsarztes einzuholen, um insoweit gegenüber den Finanzbehörden auf der sicheren Seite zu sein. Selbstverständlich können Kosten nur dann als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden, wenn sie nicht bereits von anderer Seite gezahlt oder erstattet werden.

Neu: Operationskosten zukünftig ohne amtsärztliches Attest steuerlich absetzbar?

Das Sächsische Finanzgericht hat bezogen auf die steuerliche Absetzbarkeit von Operationskosten der Liposuktion bei Lipödem ein richtungsweisendes Urteil gefällt (Az. 3 K 1498/18). Demnach stellt die Liposuktion bei Lipödem zwischenzeitlich eine anerkannte wissenschaftliche Methode dar, sodass die Vorlage eines amtsärztlichen Attestes im Sinne des § 64 EStDV zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nicht mehr erforderlich ist. Allerdings handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine allgemeine Wirkung entfaltet; eine Revisionsentscheidung des BFH (Bundesfinanzhof) steht noch aus.

Quelle: Medienservice Sachsen

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